Interpretation — An der Brücke von Heinrich Böll

Breeze-Kate
3 min readDec 22, 2023
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In der Kurzgeschichte An der Brücke, geschrieben 1949 von Heinrich Böll aus der Epoche der Moderne und der Periode der Trümmerliteratur, geht es um einen Mann, der zugleich der Erzähler ist. Die Aufgabe des Mannes ist, die Anzahl der Menschen zu zählen, die eine neu gebaute Brücke überqueren. Manchmal zählt er absichtlich falsch, um gegen seine Arbeitgeber aufzubegehren. Eines Tages warnt ihn sein Kollege, dass ein Inspektor kommet, also zählt der Erzähler besonders aufmerksam. Der Kommissar ist beeindruckt und gibt dem Erzähler die Möglichkeit, zu den Pferdewagen versetzt zu werden. Das freut ihn sehr, weil sein neuer Job einfacher wird und er mehr Zeit für seine Geliebte haben wird. Diese Frau wird zum Symbol für die Rebellion des Mannes gegen das bürokratische System, in dem er arbeitet. Somit thematisiert diese Kurzgeschichte die Kritik an einer Wirtschaft, in der Menschen auf Zahlen reduziert werden.

Diese Kurzgeschichte besitzt eine Hauptfigur: denr Ich-Erzähler. Er ist ein etwas rätselhafter Charakter und wir wissen nicht viel über ihn. Was wir über ihn wissen, ist, dass er verletzt war, sich aber erholt hat, und dass er zum Zeitpunkt der Geschichte als Zähler arbeitet: „Die haben mir meine Beine geflickt und haben mir einen Posten gegeben, wo ich sitzen kann…“ (Z. 1) Der Ich-Erzähler ist sehr methodisch und gut in seiner Arbeit, was durch das Gratulieren des Oberstatistikers gezeigt wurdewird. Dennoch zählt der Protagonist nicht immer genau. Der Ich-Erzähler gibt jedoch zu, dass er die Anzahl der Menschen, die die Brücke überqueren, manchmal absichtlich falsch zählt. Diese Menschen verlieren ihre Persönlichkeiten, wenn er sie in seine Statistiken mitzählt. Auf der anderen Seite gibt es eine Person, die von diesem Schicksal ausgeschlossen ist: seine Geliebte. Der Ich-Erzähler ist in eine Frau verliebt, die in einer Eisdiele arbeitet und zweimal am Tag die Brücke überquert. Er zählt sie nicht in seiner Statistik mit, weil er nicht möchte, dass sie „in ein prozentuales Nichts verwandelt“ (Z. 38) wird. Als sie die Brücke überquert, hört er auch auf, alle anderen zu zählen und nennten sie „Schattenmänner und Schattenfrauen.“ (Z. 26) Allerdings will der Erzähler nicht, dass die Frau erfährt, dass er sie liebt. Er möchte vielleicht nicht diese Illusion zerstören und seinen Gefühlen ein Ende setzen. Zusätzlich glaubt er, dass wenn er sie mitzählt, seine Gefühle und Liebe für sie im Nichts verloren gehen würden. Außerdem will er ihre Individualität nicht „rauben.“ Es wird deutlich, dass es dem Erzähler wichtig ist, dass seine Geliebte trotz seiner eigenen bürokratischen Arbeit ihre Individualität behält. Deshalb liebt er sie nur aus der Ferne und schenkt ihr die Erhaltung ihrer Menschlichkeit. Dies vermittelt dem Leser die Botschaft, dass Liebe nicht anhand von Zahlen oder Statistiken gemessen werden kann. Hier kritisiert Böll die Natur der Gesellschaft, alles im Namen des Erfolgs zu messen. Der trotzige Charakter des Protagonisten zeigt, dass der Erfolg nicht das Wichtigste sein soll. Insgesamt steht der Ich-Erzähler der Reduktion von Menschen auf Statistiken kritisch gegenüber: „Und alle, die das Glück haben, in diesem Minuten vor meinen blinden Augen zu defilieren, gehen nicht in die Ewigkeit der Statistik ein.“

Obwohl diese Kurzgeschichte nicht besonders typisch ist für die Themen der Zerstörung und des Wiederaufbaus, die in der Trümmerliteratur zu finden sind, sind einige Elemente relevant für die damalige Zeit. Das individuelle Erleben wird hervorgehoben und die Kritik der gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen steht im Vordergrund. In dem Text ist der Ich-Erzähler gegen die Vorstellung, Menschen, insbesondere seine Geliebte, auf Zahlen zu reduzieren. Jede Persönlichkeit wird in eine Ziffer verwandelt. Dies kritisiert den bürokratischen Charakter der Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Deshalb konzentriert Heinrich Böll auf den Humanismus, den Glauben, der das Menschsein oberste Bedeutung hat. Der Fokus auf die einzelne Person lässt die Geschichte auch alltäglicher erscheinen.

Außerdem erkennt man Heinrich Bölls satirische Schreibweise, da er die Autoritätspersonen als inkompetent erscheinen lassen. Der Ich-Erzähler schafft es leicht, seine Arbeitgebern mit seinen falschen Statistiken auszutricksen, ohne dass sie es bemerken: „Sie reißen mir förmlich das Ergebnis jedesmal aus der Hand, und ihre Augen leuchten auf, und sie klopfen mir auf die Schulter.“

Die Überschrift „An der Brücke“ ist sehr schlicht gehalten und auf dem Punkt, was typisch für diese Zeit war. Diese einfache Sprache macht es für den Leser verständlicher und leichter verdaulich. Im Großen und Ganzen hat Böll diese Kurzgeschichte geschrieben, um durch das satirische Schreiben die damaligen gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen zu kritisieren.

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Breeze-Kate

American residing in Germany, writing about Germany from American eyes, books, movies, etc. auf Englisch und Deutsch